Anlässlich des Jubiläums der Eröffnung des Instituts für Sozialforschung wollen wir als ÖH Uni Wien den Raum für die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie an der Universität Wien wieder erweitern. Mit einer Vortragsreihe ab dem 10. April wollen wir allen Interessent*innen die Möglichkeit geben, sich mit der Kritischen Theorie und Frankfurter Schule auseinanderzusetzen - egal ob das der erste Berührungspunkt mit der Kritischen Theorie oder der 20. Vortrag zur „Dialektik der Aufklärung“ ist.
Ort: Hörsaal III, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Moritz Zeiler
Beschreibung: "Es ist sicher das furchtbarste Missile, das den Bürgern an den Kopf geschleudert worden ist"
(Karl Marx über sein Hauptwerk Das Kapital)
Mit den Krisen der letzten Jahre wird vermehrt Kritik am Kapitalismus laut. Dabei überwiegt meist ein undeutliches Verständnis der kapitalistischen Verhältnisse sowie Ressentiments gegen Banken, Management und ‚die da oben‘. Doch Empörung und Anklage Einzelner allein haben die gesellschaftlichen Verhältnisse noch nie zum Besseren verändert, sondern im Gegenteil eher zu Rückschritt und Barbarei geführt. Kritische Untersuchung ökonomischer und politischer Zusammenhänge ist für gesellschaftliche Emanzipation daher unverzichtbar. Die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie wurde zwar im 19. Jahrhundert veröffentlicht, bietet aber nach wie vor eine der profundesten Analysen des Kapitalismus. Mit dem Vortrag wird in zentrale Begriffe der Ökonomiekritik von Marx eingeführt. Unter anderem interessieren folgende Fragen: Was unterscheidet Kapitalismus von früheren Gesellschaftsepochen? Was versteht Marx unter Ware, Wert, Geld und Kapital? Welche Bedeutung haben bei ihm Fetischismus, Klasse und Staat?
Moritz Zeiler hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und ist Mitglied der Gruppe associazione delle talpe. Veröffentlichungen: Materialistische Staatskritik. Eine Einführung, Stuttgart 2017, Das Klima des Kapitals. Kritik der politischen Ökonomie und gesellschaftliche Naturverhältnisse, Berlin 2022 (Herausgabe mit Valeria Bruschi) sowie zusammen mit associazione delle talpe Herausgabe der Textsammlungen Staatsfragen. Einführungen in die materialistische Staatskritik, Berlin 2009 sowie Maulwurfsarbeit I-VI, Berlin/Bremen 2010-2022.
Ort: Hörsaal III, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Andreas Peham
Besschreibung: Der Antisemitismus fordert emanzipatorische Theorie und Praxis bis heute heraus. Viele linke Ansätze ergehen sich etwa in ökonomistischem Reduktionismus oder verkennen Antisemitismus als bloße Ideologie zur Ablenkung der Beherrschten. Auch die Kritische Theorie musste sich von solchen Irrtümern erst freispielen, bevor sie den Antisemitismus als Projektion (von Schuld, Hass usw.) richtig bestimmen und die „Wendung auf das Subjekt“ des Ressentiments vollziehen konnte.
Ort: Hörsaal III, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Helmut Dahmer
Beschreibung: Das von Felix Weil 1923 im Kielwasser der gescheiterten deut-schen Novemberrevolution ins Leben gerufene und finanzierte Frankfurter „Institut zur Erforschung des Marxismus“ arbeitete mit dem Moskauer „Marx-Engels-Institut“ an der erstmaligen Veröffentlichung zentraler Marxscher Schriften wie der „Pariser Manuskripte“, der „Deutschen Ideologie“ und der „Grundrisse“. Das führte zu der Entdeckung, dass es sich bei dem Marxschen Projekt um eine spezifische Art von Wissenschaft handelt, nämlich um die Kritik obsoleter Institutionen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Intuitiv erkannte Max Horkheimer (1932), dass auch die Freudsche Psychoanalyse – als Kritik obsoleter Institutionen der Lebens- und Kulturgeschichte – diesem Wissenschaftstypus entspricht. In beiden Fällen geht es (um es mit einer Formulierung von Adorno zu sagen), um die „Anamnesis der Genese“ der aktuellen Verfas-sung der Subjekte und ihrer Sozietät.
Ort: Hörsaal III, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Matthias Flatscher
Beschreibung: Im US-amerikanischen Exil verfassten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1944 die Dialektik der Aufklärung. Dieses gemeinsame Werk ist nicht nur grundlegend für die Kritische Theorie, sondern gilt als einer der zentralen Texte der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Die beiden Autoren analysieren in unterschiedlichen Anläufen sowohl die Ursachen des Faschismus als auch die Auswirkungen des Kapitalismus auf die spätbürgerliche Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht dabei eine fundamentale Kritik des abendländischen Vernunftbegriffs: Denn mit der Selbstbehauptung des Subjekts gegenüber einer den Menschen bedrohenden Naturgewalt habe sich eine „instrumentelle" Vernunft etabliert, die sich nicht nur in der Dominanz über die Natur, sondern auch in der Herrschaft des Menschen über den Menschen ausdrücke. Dem vermeintlichen Fortschritt der Beherrschung wohne, so ihre weitreichende These, ein selbstzerstörerischer Prozess inne, den es selbstkritisch zu problematisieren gelte.
Ort: Hörsaal I, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Stephanie Graf
Beschreibung: Wie kann es sein, dass Aufklärung in ihr Gegenteil – in Mythos – zurückschlägt? Ein zentraler Gedanke der Dialektik der Aufklärung bündelt subjekttheoretische und geschichtsphilosophische Überlegungen, die der junge Theodor W. Adorno in engem Dialog mit Walter Benjamin entwickelte. Es handelt sich um Fragen, die an die moderne Subjektivität gerichtet sind und die nicht zuletzt im Zusammenhang mit Säkularisierung stehen. Walter Benjamin hat sie in seiner Habilitationsschrift mit dem (selten in seiner Doppeldeutigkeit verstandenen) Titel "Der Ursprung des deutschen Trauerspiels" expliziert. Wo die gottgewollte Ordnung an Glaubwürdigkeit verliert, konsolidiert sich das moderne Subjekt in einem Versprechen von Freiheit. Setzt sich Vernunft allerdings in einen absoluten Gegensatz zu Natur, vergottet sie sich also, tritt sie nur noch als naturbeherrschende auf. Dem auf die eigene Innerlichkeit zurückgeworfenen, gletscherhaften Selbst steht Geschichte als naturgegebene und schicksalhafte vor Augen.Gegen diese Denk- und Handlungsstruktur richtet sich die Mythoskritik Benjamins und Adornos. Zentrale Begriffe der Kritischen Theorie – Mythos, Schicksal und Naturgeschichte - erschließen sich vor dem Hintergrund der frühen Korrespondenzen zwischen diesen beiden Denkern.
Ort: Hörsaal II, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Karin Stögner
Beschreibung: Der Vortrag beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen zwei Theorieparadigmen, die jeweils auf unterschiedliche Art für Emanzipation stehen und fragt danach, wo die Verbindungs- und Trennlinien verlaufen. In einer feministischen Lesart der Authoritarian Personality wird eine kritische Theorie der Intersektionalität entworfen, die das Ineinandergreifen von Ideologien wie Sexismus und Antisemitismus analysiert. Mit Hilfe von Ansätzen der Kritischen Theorie sollen so jene intersektional-feministischen Ansätze kritisiert werden, die auf Identitätspolitiken abstellen und damit zu neuen Ausschlüssen führen.
Ort: Hörsaal I
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Isolde Vogel
Antisemitismus als soziale und politische Bewegung und welterklärende Ideologie entstand in der sich modernisierenden Welt des 19. Jahrhunderts. Als reaktionärer Beantwortungsversuch ist die Logik des Antisemitismus in der vermeintlichen Erlösung von den Ambivalenzen der Moderne begründet. Als völkische Gegenbewegung zu Aufklärung und Emanzipation speist er sich aus Naturglaube, Verschwörungsfantasien und der Projektion allen Übels auf Jüdinnen und Juden.
Am Beispiel der völkischen Impfablehnung lassen sich die Zusammenhänge historisch wie auch inhaltlich nachzeichnen: Antisemitische Mythen dienen als die Rechtfertigung des Irrationalen, als kollektiver Glaube an die „natürliche Ordnung“, das „Recht des Stärkeren“ und die Ablehnung der „künstlichen“ Wissenschaft. Mythen dienen der Auflösung von Widersprüchen.
Als das „Gerücht über die Juden“ (Adorno) dient Antisemitismus als Welterklärungsmodell und Angebot für eine geschlossene Weltsicht. Antisemitische Mythen dienen als Projektion menschlicher Probleme auf Übermenschliches – und damit als Möglichkeit Unerklärliches vermeintlich erklärbar zu machen.
Diese Funktionen und Bedeutung von Mythenbildung und Antisemitismus wird im Vortrag ideologiekritisch eingeordnet und der Mythenbegriff auch anhand der Überlegungen der kritischen Theorie erörtert. Dieser Zusammenhang von mythischem Denken und der Ideologie des Antisemitismus, der sich auch in der Impfablehnung zeigt, steht im Zentrum.
Isolde Vogel ist Historikerin und Antisemitismusforscherin mit Fokus auf völkische Weltanschauung, Ideologie und Geschichte des Nationalsozialismus und Rechtsextremismus. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) im Arbeitsbereich Rechtsextremismus und war zuvor für die Österreichische Akademie der Wissenschaften, das Yad Vashem Archiv und als Lehrbeauftragte der Universität Wien tätig. Außerdem arbeitet sie aktuell an ihrem Dissertationsprojekt zum Thema „Impfablehnung und Antisemitismus im völkischen Denken“.
Ort: Hörsaal I, EG, NIG, Universitätsstraße 7
Zeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Vortragende*r: Stephan Grigat
Beschreibung: Was kann die Kritische Theorie zum Verständnis von Israelhass und islamischen Antisemitismus beitragen?
Soll der Antisemitismus nicht als ein bloßes Vorurteil verharmlost, sondern im ideologiekritischen Sinn als wahnhafte Projektion dechiffriert werden, so gilt es, sich den Begriff der„antisemitischen Gesellschaft“ zu vergegenwärtigen, der von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx entwickelt wurde. Davon ausgehend soll gefragt werden, inwiefern sich die Überlegungen von Adorno und Horkheimer zur Kritik des islamischen Antisemitismus und eines antisemitischen Antizionismus eignen.
Der Zionismus ist eine unmittelbare Antwort sowohl auf den europäischen als auch auf den arabischen und islamischen Antisemitismus. In ihm existiert zwangsläufig ein Spannungsverhältnis zwischen universalistischem Emanzipationsanspruch und notwendigerweise partikularer Organisation in Form eines Nationalstaates. Wie ist der Zionismus als nationale Befreiungsbewegung der Juden und Jüdinnen vor dem Hintergrund einer kritischen Theorie der Gesellschaft zu begreifen? Was hatten die Kritischen Theoretiker zu Israel und zum Zionismus zu sagen? Und was bedeutet der von Adorno formulierte neue kategorische Imperativ, alles Handeln und Denken im Stande der Unfreiheit so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederholen kann, angesichts der aktuellen Bedrohung des jüdischen Staates durch das iranische Regime und die Hisbollah?
Stephan Grigat ist Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und Leiter des Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (CARS) in Aachen. Er ist Research Fellow an der Universität Haifa und am London Center for the Study of Contemporary Antisemitism, Autor von „Die Einsamkeit Israels: Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung“ (Konkret 2014), Herausgeber von „Kritik des Antisemitismus in der Gegenwart: Erscheinungsformen – Theorien – Bekämpfung“ (Nomos 2023) und Mitherausgeber von „Erinnern als höchste Form des Vergessens? (Um-)Deutungen des Holocaust und der Historikerstreit 2.0“ (Verbrecher 2023).